GENSCHER-Gastbeitrag für die "Mitteldeutsche Zeitung"

Berlin. Der FDP-Ehrenvorsitzende HANS-DIETRICH GENSCHER schrieb für die "Mitteldeutsche Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Schluss mit dem Meinungsmonopol der amerikanischen Rating-Agenturen!

Wer will da noch an einen Zufall glauben? Da treffen sich die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident, um ein Konzept für die Überwindung der Verschuldungskrise zu erarbeiten. Nicht ein kurzatmiges Papier, sondern ein Papier, das durch seine institutionellen Vorschläge eine Langfristwirkung, und zwar eine positive, verspricht.

Die Spekulationen über einen deutsch-französischen Konflikt, über einen auch persönlichen Zusammenstoß zwischen Sarkozy und Merkel, lösen sich in Luft auf. Zwei Persönlichkeiten, die ihre staatspolitische Verantwortung und ihre europäische Verantwortung erkannt haben und ernst nehmen, erreichen in wichtigen Fragen der europäischen Währungspolitik Übereinstimmung. Ihren Vorschlag verstehen sie nicht als einen Führungsanspruch in Europa, sondern als Erfüllung der Frankreich und Deutschland geschichtlich zugewiesenen Rolle einer Avantgarde für die Einigung unseres kleinen Kontinents. Die Ticker der Agenturen haben die Berichte über das Treffen in Paris noch nicht abgeschlossen, da tönt aus New York eine der so genannten Rating-Agenturen, dass man nunmehr auch Deutschland einer Überprüfung seines Verlässlichkeitsattests unterziehen müsse, so wie man das auch noch für eine Menge anderer europäischer Staaten ankündigt. Ein Schelm, wer sich dabei etwas denkt.

Im Zusammenhang mit der Lehman-Krise, die, was die Prognosefähigkeit angeht, auch eine Krise der Rating-Agenturen war, kam in Europa - endlich - die Forderung nach unabhängigen europäischen Rating-Agenturen auf. Richtigerweise; allerdings mit der Nachfrage: Warum erst jetzt? Inzwischen ist geraume Zeit ins Land gegangen. Geschehen ist nichts.

Muss es nicht zu denken geben, dass die vermeintlich allwissenden Rating-Agenturen die Lehman-Pleite nicht vorhergesehen haben? Fragen muss man sich auch, in welchen geschäftlichen Verbindungen die Agenturen sonst noch stehen, und Gedanken kann man sich auch machen, wenn man bedenkt, dass alle maßgeblichen Rating-Agenturen ihren Sitz in den USA haben. Dollar und Euro? Sarkozy und Merkel haben bei ihrer Zusammenkunft in Paris einen beachtlichen Vorschlag vorgelegt. Vielleicht besteht Gelegenheit nachzulegen, wenn man in der EU am Wochenende zusammenkommt. Der Euro-Raum darf sich nicht abhängig machen von Rating-Agenturen, deren Urteilsfähigkeit erwiesenermaßen zu Zweifeln Anlass gibt, und die ihre Basis in einem anderen Währungsraum haben. Es geht nicht darum gering zu schätzen, was die amerikanischen Rating-Agenturen sagen. Sondern es geht allein darum, ein Meinungsmonopol zu verhindern. Man kann nur rufen: Aufgepasst Europa, Monopole sind immer schlecht. Meinungsmonopole besonders. Und wenn es um Macht, Einfluss und Geld geht, insbesondere.

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