Beschluss des FDP-Präsidiums - Konsequent gegen Rechtsextremismus

Berlin. Das Präsidium der Freien Demokratischen Partei hat auf seiner Sitzung am
21. November 2011 beschlossen:

Konsequent gegen Rechtsextremismus

Ausgangslage
Der Rechtsextremismus hat in Deutschland eine neue Dimension erreicht.
Ein extrem gewaltbereites Netzwerk von Neonazis konnte dreizehn Jahre lang unbehelligt unter uns leben, zehn kaltblütige Morde verüben und brutale Banküberfälle begehen. Weitere Anschläge waren offenbar in Planung. Es steht zu befürchten, dass die laufenden Ermittlungen zusätzliche erschreckende Tatsachen zu Tage fördern werden.

Notwendigkeit einer Fehleranalyse
Die Enthüllungen der letzten Tage haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Verfassungsschutzämter, empfindlich beeinträchtigt und das Ansehen Deutschlands in der Welt beschädigt. Vorschnelle Schuldzuweisungen sind zu diesem Zeitpunkt fehl am Platz, doch ist offenkundig, dass die staatlichen Institutionen, die für den Schutz der Bürger Verantwortung tragen, versagt haben. Hier brauchen wir eine klare Fehleranalyse.

Wir müssen gemeinsam kritisch prüfen, wie es dazu kommen konnte, dass eine den Sicherheitsbehörden bekannte Gruppe rechtsextremer Gewalttäter offensichtlich unbemerkt in den Untergrund gehen und dort über viele Jahre hinweg derart ungestört agieren konnte. Dabei muss das Augenmerk insbesondere auf die bestehenden Strukturen von Verfassungsschutzämtern und Polizeibehörden gerichtet werden. Auch die Praxis des Einsatzes von Vertrauenspersonen (V-Leute) gehört auf den Prüfstand. Hinweise, V-Leute könnten außer Kontrolle geraten, falsche Informationen geliefert oder gar in Aktivitäten der Zwickauer Gruppe verstrickt gewesen seien, bedürfen schonungsloser Aufklärung.

Die Aufklärung muss Vorrang haben vor Schnellschüssen jedweder Art. Diese gehen erfahrungsgemäß nur allzu oft an den wirklichen Problemen vorbei oder können gar als Vorwand genutzt werden, Aufklärung nicht voranzutreiben. Der aktuell stattfindende Überbietungswettbewerb mit immer neuen politischen Forderungen nutzt niemandem.

NPD-Verbotsverfahren
Aus Sicht der FDP ist die NPD eine verfassungsfeindliche Partei, die zur Bildung eines geistig-sozialen Milieus beiträgt, das schwerste Straftaten begünstigen kann und Nährboden für eine antidemokratische Gesinnung ist.

Abhängig von den Ergebnissen der laufenden Ermittlungen könnte die Frage eines NPD Verbotes neu zu prüfen sein. Ein NPD-Verbotsverfahren macht ungeachtet aller anderen in die Entscheidung einzubeziehenden Umstände gleichwohl nur dann Sinn, wenn es mit hinreichender Sicherheit auch zum Erfolg führen würde. Solange das Bundesverfassungsgericht im Einsatz von V-Leuten in der NPD ein maßgebliches Problem für ein Parteiverbot sieht, ist mit einem erfolgreichen Verfahrensausgang nicht zu rechnen. An einem erneuten Scheitern aber kann es kein Interesse geben.


Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes
Ohnehin kann der Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht nur durch ein Parteiverbot und den Einsatz staatlicher Sicherheitsbehörden gewonnen werden. Neben der Fortsetzung des Weges, verfassungsfeindliche Vereine zu verbieten, bedarf es einer Stärkung unserer demokratischen Zivilgesellschaft und der Förderung attraktiver Angebote für Aussteiger. Die Opfer rechter Gewalt wiederum haben Anspruch auf Solidarität. Ihnen schulden wir Hilfe und Betreuung.

Lückenlose und länderübergreifende Aufklärung
Vor diesem Hintergrund fordert die FDP eine lückenlose und länderübergreifende Aufklärung des Sachverhalts und aller damit in Zusammenhang stehenden Vorgänge. Es sind darüber hinaus Schlussfolgerungen vorzulegen und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, wie die Arbeit der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung und Verfolgung rechter Gewalt zukünftig optimiert werden kann.

Neuorganisation des Verfassungsschutzverbundes
Nach jetzigem Erkenntnisstand ist jedenfalls eine bessere Koordinierung der Verfassungsschutzämter untereinander erforderlich. Auch die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei, bedarf unter strikter Beachtung des von der Verfassung vorgegebenen Trennungsgebots einer Neubewertung. Die Zahl der Verfassungsschutzämter darf dabei kein Tabu sein. Die jetzige Organisationsstruktur mit 16 Landesämtern, einem Bundesamt sowie dem Militärischen Abschirmdienst als zusätzlichem Akteur begegnet unter Effizienzgesichtspunkten erheblichen Bedenken. Eine Neuorganisation erscheint überfällig. Diese hat auch die Frage der Kontrolle der Nachrichtendienste einzubeziehen.

Ordnung des V-Leute-Wesens
Ebenfalls in den Blick zu nehmen ist der rechtliche Rahmen für den Einsatz von V-Leuten. Gegenwärtig sind die gesetzlichen Regelungen sehr unterschiedlich. So enthält z.B. das Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) über die für besondere Mittel der Datenerhebung allgemein geltenden Vorschriften hinaus keinerlei Spezialvorschriften. Auch die Polizeigesetze der Länder weisen häufig nur oberflächliche Normierungen auf, ohne detaillierte Vorgaben zum Einsatz von V-Leuten zu machen. Angesichts der bislang bekannt gewordenen Umstände drängt sich die Frage nach weitergehenden und vereinheitlichten rechtlichen Vorgaben auf. Auch die Auswahl und Führung von V-Leuten muss auf den Prüfstand. Nötig sind interne Verfahrenssicherungen, die eine Einhaltung der rechtlichen Vorgaben gewährleisten. Vertraulichkeitszusagen, fehlender Strafverfolgungszwang, strenge Geheimschutzvorschriften und große Datensicherheit, die das V-Leute-Wesen kennzeichnen, dürfen jedenfalls nicht dazu führen, dass Vertrauenspersonen im Ergebnis außerhalb unseres Rechtssystems stehen.

Auch die Struktur der hauptamtlichen Mitarbeiter der Verfassungsschutzämter bedarf näherer Betrachtung. Die geringe Fluktuation und Karriereverläufe, die mit der Ausbildung beginnen und mit der Pensionierung im Amt für Verfassungsschutz enden, sind einerseits Zeichen großer Stabilität, dürfen aber andererseits nicht dazu führen, dass sich ein Corpsgeist mit Abschottungstendenzen nach außen herausbildet. Eine sorgfältige Personalgewinnung ist zu gewährleisten, und ein verstärkter Personalaustausch auch mit anderen Behörden ist anzustreben.
Quelle: FDP

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